Auf einen Blick:
Im Detail:
Die volle Reanimation eines Neugeborenen mit Beatmungen, Thoraxkompressionen und Medikamentengabe ist ein äußerst seltenes Ereignis. Die meisten Neugeborenen erholen sich unter einer effektiven Maskenbeatmung rasch, und diese stellt in den meisten Fällen die effektivste und einzig notwendige Maßnahme für die erfolgreiche Reanimation eines Neugeborenen dar. Selbst Thoraxkompressionen sind im Rahmen einer Neugeborenenversorgung äußerst selten notwendig. Kommt es allerdings letztlich unter Thoraxkompressionen und effektiven Beatmungen (im Verhältnis 3:1) nicht zu einem Anstieg der Herzfrequenz über 60/min, soll auch im Rahmen einer Neugeborenenreanimation die Gabe von Adrenalin (0,1 ml/kg der 1:10.000-Lösung) und ggf. von Volumen (10 ml/kg einer kristalloiden Lösung) in Erwägung gezogen werden. Dafür ist selbstverständlich das Legen eines Zugangs notwendig.
Die Guidelines 2015 empfehlen dafür das Verlegen eines zentralen Nabelvenenkatheters (NVK). [1] Der intraossäre Zugang findet in den aktuellen Guidelines keine Erwähnung.
SIMCharacters empfiehlt daher für die Praxis:
In einer Reanimationssituation ist ein schneller und sicherer Zugang erforderlich.
Gerade im Rahmen einer Neugeborenenreanimation bereitet dies allerdings selbst erfahrenen neonatologischen Teams nicht selten Schwierigkeiten. Die neuen Guidelines 2015 empfehlen hier weiterhin einen Nabelvenenkatheter als Zugang der ersten Wahl. Nach dem englischen Original soll dieser darüber hinaus zentral platziert werden. [1]
Diese Empfehlung halten wir von SIMCharacters für äußerst problematisch. Aus Sorge vor dem Nichtgelingen eines NVK wird in diesen Situationen mit Versuchen, einen peripheren Zugang zu legen häufig sinnlos Zeit verschwendet. Unter voller Reanimation ist das Legen von peripheren Zugängen jedoch sicher nicht sinnvoll, da es kaum erfolgversprechend ist. Bereits der Versuch sollte daher aus unserer Sicht hier unterbleiben.
Unserer Erfahrung nach ist das Legen eines NVK in einer Akutsituation – selbst für neonatologische Teams – oft mit großen Schwierigkeiten verbunden. Für medizinisches Personal mit wenig Routine, insbesondere auch für geburtshilfliche Kliniken ohne Neonatologen oder für den Rettungsdienst, ist das erfolgreiche Legen eines NVK unter Reanimation de facto unmöglich. Frustrane Versuche behindern aus unserer Erfahrung nicht selten effektive Reanimationsmaßnahmen.
Als Alternative sollte daher in diesen Situationen aus unserer Sicht unbedingt ein intraossärer (io) Zugang erwogen werden. In einigen Studien hat sich gezeigt, dass ein intraossärer Zugang beim reifen Neugeborenen zuverlässig [2] und für den im NVK-Legen Ungeübten wahrscheinlich schneller und zuverlässiger als ein NVK zu verlegen ist. [3, 4]
Den intraossären Zugang als Alternative in den Neugeborenen-Guidelines mit keinem Wort zu erwähnen, halten wir daher für ein schweres Versäumnis dieser Guidelines. Zwar sind die Erfahrungen mit intraossären Zugängen in der Neonatologie begrenzt, [5-7] dennoch ist es für uns völlig unverständlich, warum er im Rahmen einer pädiatrischen Reanimation (also theoretisch bereits, sobald das Neugeborene den Kreißsaal verlassen hat!) in den Guidelines 2015 im pädiatrischen Kapitel als Zugang der ersten Wahl empfohlen wird und gleichzeitig in der Neonatologie scheinbar keinen Stellenwert haben soll.
Die Nichterwähnung des intraossären Zugangs in neonatologischen Guidelines führt aus unserer Erfahrung häufig zudem dazu, dass gerade auch NeonatologInnen und PädiaterInnen z.B. bei einem Säugling am 10. Lebenstag diesen mitunter lebensrettenden Zugang ebenfalls nicht in Erwägung ziehen, da er scheinbar beim neonatologischen Patientengut keine Bedeutung hat.
An dieser Stelle muss allerdings noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass im Rahmen einer Neugeborenenreanimation Beatmungen und ggf. Thoraxkompressionen immer oberste Priorität haben und auch während des Legens eines Zugangs so weit wie möglich unbehindert durchgeführt werden müssen. Gerade weil das Legen eines Zugangs insgesamt nur äußerst selten notwendig ist, muss dies insbesondere für Nicht-Neonatologen oder weniger erfahrene Teams leicht möglich sein. Ein NVK ist aus unserer Sicht für diese Teams sicher nicht der Zugang der ersten Wahl.
Das Legen eines intraossären Zugangs beim Neugeborenen und kleinen Säugling ist allerdings keine Banalität und muss daher unbedingt regelmäßig trainiert werden. [8] Natürlich stellen Paravasate, die in extrem seltenen Fällen bis zur Amputation einer Extremität führen können schwere Komplikationen eines intraossären Zugangs dar. Diese sind jedoch zumeist auf Anwenderfehler durch mangelndes Training zurückzuführen.
In unserem nächsten Blog werden wir daher die Tipps und Tricks beim Legen eines intraossären Zugangs im Säuglingsalter näher beleuchten.
Fazit
Der intraossäre Zugang muss auch in der Neonatologie einen Stellenwert als mitunter lebensrettendes Werkzeug haben. Da das Legen eines NVK für ein nicht-neonatologisches Team nahezu illusorisch ist, sollte aus unserer Sicht der intraossäre Zugang auch in der Neonatologie als Alternative unbedingt in Erwägung gezogen werden. Abhängig von den individuellen Gegebenheiten halten wir ihn in vielen Situationen für den Zugang der ersten Wahl im Rahmen einer Neugeborenenreanimation.
Literatur
*Hinweis: Der Inhalt der vom SIMCharacters-Team kommentierten Texte entspricht unserer persönlichen Meinung, die wir uns vor allem auf Grundlage unzähliger Trainings vor Ort in Kliniken jeder Größe gebildet haben. Da Theorie und Praxis nicht selten weit auseinander liegen, bemühen wir uns um pragmatische Ansätze und Lösungen für das Arbeiten in der täglichen Praxis.
Wir achten stets darauf, dass unsere Empfehlungen grundsätzlich dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist und menschliche Irrtümer nie völlig auszuschließen sind, übernimmt SIMCharacters keine Haftung.
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*Hinweis: guidelines2015.com ist eine Website der SIMCharacters Training GmbH. SIMCharacters bietet Reanimationstrainings im gesamten deutschsprachigen Raum an. Mit dieser Seite möchten wir die Verbreitung der neuen Reanimationsguidelines unterstützen. Mit kommentierten Texten, die unsere Erfahrungen zum Thema Kinder- und Neugeborenenreanimation widerspiegeln, möchten wir die Umsetzung der neuen in die Praxis erleichtern. SIMCharacters Training übernimmt keine Haftung.
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