Der Algorithmus der Neugeborenenreanimation hat sich mit den neuen Guidelines 2015 nicht verändert. Beatmungen haben weiterhin die höchste Priorität und sind zumeist die effektivste und häufig einzig notwendige Maßnahme für die erfolgreiche Reanimation eines Neugeborenen.
Müssen tatsächlich Thoraxkompressionen durchgeführt werden, weil eine effektive Beatmung nicht ausreichend ist, um eine Herzfrequenz von > 60/Minute zu erreichen, werden diese weiterhin im Verhältnis 3 Thoraxkompressionen : 1 Beatmung durchgeführt.
Hier die Neuerungen zur Neugeborenenreanimation in den aktuellen Guidelines 2015 in der Übersicht:
Abnabeln
Für gesunde Neugeborene empfehlen die neuen Guidelines ein verzögertes Abnabeln frühestens nach einer Minute. In der Zusammenfassung der Guidelines wird auf Grund der unzureichenden Datenlage keine Empfehlung für den idealen Abnabelungszeitpunkt bei einem kritisch kranken Neugeborenen gegeben. Im Text selbst wird jedoch erfreulicherweise eine Empfehlung ausgesprochen: Neugeborene, die nicht atmen, sollen weiterhin sofort und nicht erst nach einer Minute abgenabelt werden, um das Einleiten von Reanimationsmaßnahmen nicht zu verzögern.
Optimale Bestimmung der Herzfrequenz
Die Verwendung eines EKGs zur Bestimmung der Herzfrequenz soll nun auch in der Versorgung von kritisch kranken Neugeborenen in Erwägung gezogen werden. Siehe dazu unseren Kommentar „Das EKG bei der Reanimation von Neugeborenen – endlich in den Guidelines!“
Temperaturmanagement
Die neuen Guidelines betonen nochmals die besondere Bedeutung des Wärmemanagements bei Früh- und Neugeborenen. Bei nicht asphyktischen Neugeborenen soll die Temperatur nach der Geburt zwischen 36,5 und 37,5°C gehalten werden. Das Wärmemanagement hat für gesunde Neugeborene eine herausragende Bedeutung für die Morbidität und Mortalität.
Wärmemanagement bei Frühgeborenen
Frühgeborene sind hinsichtlich eines Wärmeverlustes besonders empfindlich. Um den angestrebten Temperaturbereich von 36,5 bis 37,5°C zu erreichen und zu halten, ist beim Frühgeborenen < 32 Schwangerschaftswochen eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen erforderlich. Dazu gehören angewärmte und befeuchtete Atemgase für die Atemunterstützung, eine Erhöhung der Raumtemperatur und die Versorgung des Frühgeborenen auf einer Wärmematte bzw. unter einem Wärmestrahler.
Die neuen Guidelines empfehlen nun generell alle Frühgeborenen < 32 Schwangerschaftswochen - ohne sie vorher abzutrocknen - unter Aussparung des Gesichtes, in eine Folie zu wickeln. Die Ausweitung dieser Empfehlung von ursprünglich nur Frühgeborenen < 28 Schwangerschaftswochen auf alle Frühgeborene < 32 Schwangerschaftswochen wird in der Neonatologie voraussichtlich zu berechtigten Diskussionen führen, v.a. da die Datenlage für diese Empfehlung nur unzureichend ist.
Unterstützung der Anpassung ≠ Reanimation
Die wenigsten Neugeborenen müssen reanimiert werden. Einige Neugeborene benötigen allerdings nach der Geburt unterstützende Maßnahmen. Diese reichen von einer taktilen Stimulation bis zu einer kurzen Maskenbeatmung oder einer Atemunterstützung z.B. mittels eines CPAP (continuous positive airway pressure).
In der Zusammenfassung der Neuerungen unterscheiden die neuen Guidelines diese unterstützenden Maßnahmen von tatsächlichen Reanimationsmaßnahmen zur Wiederherstellung von Vitalfunktionen. Im Text selbst wird diese Unterscheidung allerdings leider nicht mehr sehr konsequent weiterverfolgt.
CPAP
Bevor erwogen wird, ein spontan atmendes Neugeborenes aufgrund vermehrter Atemanstrengung zu intubieren, soll primär eine Atemunterstützung mittels CPAP verabreicht werden.
Mekonium
Die endotracheale Intubation und ein endotracheales Absaugen soll nach den neuen Guidelines nicht mehr routinemäßig durchgeführt werden, sondern nur noch bei Verdacht auf eine Obstruktion der Trachea mit Mekonium erfolgen. Entscheidend ist - auch im Falle von Mekonium - innerhalb der ersten Lebensminute mit Beatmungen zu beginnen und diese nicht unnötig zu verzögern. Eine detaillierte Beschreibung dieses neuen, sehr pragmatischen Ansatzes findet sich in unserem Kommentar: „Versorgung des Neugeborenen mit Mekonium – alles neu?!“
Raumluft/Sauerstoff
Für die Beatmung eines reifen Neugeborenen soll initial weiter Raumluft (21%) verwendet werden. Frühgeborene sollen anfangs ebenfalls mit Raumluft oder einer niedrigen Sauerstoffkonzentration (bis 30%) beatmet werden. Kommt es unter diesen Sauerstoffkonzentrationen zu keiner Besserung der klinischen Situation bzw. zu keinem zufriedenstellenden Anstieg der peripheren Sättigung, soll eine Erhöhung der zugeführten Sauerstoffkonzentration (idealerweise gesteuert über eine Pulsoxymetrie) in Betracht gezogen werden. Die neuen Guidelines betonen die Erhöhung der Sauerstoffkonzentration bei einem kritisch kranken Neugeborenen und fehlendem Anstieg der peripheren Sättigung aus unserer Sicht zu Recht noch einmal besonders, da auch nach unserer Beobachtung eine Erhöhung der Sauerstoffkonzentration durch das neonatologische Mantra „21% O2“ auch in dramatischen Notfallsituationen mitunter überhaupt nicht mehr erwogen wurde.
Medikamentengabe
Die neuen Guidelines empfehlen weiterhin die Medikamentengabe über einen Nabelvenenkatheter. Im Gegensatz zu den letzten Guidelines wurde nun ergänzt, dass es sich zudem um einen „zentral“ liegenden Katheter handeln soll. Warum wir diese Empfehlung als äußerst problematisch ansehen ist in unserem Kommentar „Der intraossäre Zugang – Kein Stellenwert in der Reanimation von Neugeborenen?“ nachzulesen.
Personelle Ressourcen und Training
Bei jeder Geburt muss ausreichend Personal, das im Bereich Neugeborenenreanimation ausgebildet und trainiert ist, leicht und zu jeder Zeit verfügbar sein. Die neuen Guidelines betonen noch einmal besonders, dass wenn ein Neugeborenes reanimiert werden muss, dies die einzige und ausschließliche Aufgabe dieses Teams sein darf.
Ein gleichzeitiges Versorgen beispielsweise einer kritisch kranken Mutter und eines kritisch kranken Neugeborenen (wie es häufig v.a. in kleinen Häusern in einer Notfallsituation notwendig ist) darf aus unserer Sicht damit nicht mehr akzeptiert werden.
Bei Risikogeburten muss darüber hinaus speziell neonatologisch geschultes und trainiertes Personal zur Verfügung stehen. Alle geburtshilflichen Bereiche müssen über ein Notfallprotokoll verfügen, das die Alarmierungsstruktur im Notfall klar regelt und eine schnelle Verfügbarkeit des Reanimationsteams ermöglicht. Ein strukturiertes Ausbildungsprogramm für Standards und Fertigkeiten der Neugeborenenreanimation ist daher für jede geburtshilfliche Einrichtung unabdingbar.
Briefing und Debriefing
Eine Vorbesprechung im Team der zu erwartenden Situation, ein Equipmentcheck und eine konstruktive Nachbesprechung der Teamperformance (Briefing und Debriefing) sind nun erstmals auch im neuen Algorithmus der Neugeborenenreanimation abgebildet. SIMCharacters kann diese sinnvollen Maßnahmen zur Erhöhung der Patientensicherheit absolut empfehlen.
Sie sollten in Zukunft fester Bestandteil jeder Versorgung von Neugeborenen sein.
*Hinweis: Der Inhalt der vom SIMCharacters-Team kommentierten Texte entspricht unserer persönlichen Meinung, die wir uns vor allem auf Grundlage unzähliger Trainings vor Ort in Kliniken jeder Größe gebildet haben. Da Theorie und Praxis nicht selten weit auseinander liegen, bemühen wir uns um pragmatische Ansätze und Lösungen für das Arbeiten in der täglichen Praxis.
Wir achten stets darauf, dass unsere Empfehlungen grundsätzlich dem neuesten Stand der Wissenschaft entsprechen. Da jedoch die Medizin als Wissenschaft ständig im Fluss ist und menschliche Irrtümer nie völlig auszuschließen sind, übernimmt SIMCharacters keine Haftung.
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*Hinweis: guidelines2015.com ist eine Website der SIMCharacters Training GmbH. SIMCharacters bietet Reanimationstrainings im gesamten deutschsprachigen Raum an. Mit dieser Seite möchten wir die Verbreitung der neuen Reanimationsguidelines unterstützen. Mit kommentierten Texten, die unsere Erfahrungen zum Thema Kinder- und Neugeborenenreanimation widerspiegeln, möchten wir die Umsetzung der neuen in die Praxis erleichtern. SIMCharacters Training übernimmt keine Haftung.
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